Die Welt als Labyrinth

Der tanzende Gott

Stimmen über Gustav René Hocke

Es war im Sommer 1970, schreibt Michael Ende über den Tag, als er Gustav René Hocke kennen lernte.1 Meine Frau Ingeborg und ich saßen auf der Piazza von Genzano vor dem Café Nazionale, tranken Espresso und warteten auf Gustav René Hocke, der versprochen hatte, uns abzuholen, da der Weg zu seinem Haus per Telefon nicht zu erklären sei. Ich war außerordentlich gespannt darauf, diesen Mann kennen zu lernen, dessen Bücher mich so tief beeindruckt hatten (...) Oft hatte ich versucht, mir diesen Mann vorzustellen. Ingeborg und ich hatten darüber geredet, wie er wohl sein mochte. Eines stand für mich außer Frage: Es musste sich bei ihm wohl um eine jener außergewöhnlichen, bisweilen exzentrischen Persönlichkeiten handeln, die man in Italien als „mostro sacro“ zu bezeichnen pflegt, als „heiliges Ungeheuer“ des Wissens, der Bildung, der Verfeinerung. Aus irgendeinem Grunde schwebte mir das Bild eines schmalgesichtigen, asketisch wirkenden älteren Mannes vor, von hoher, ein wenig gebeugter Statur, vermutlich mit einer wirren Mähne weißen oder grauen Haars, der, in einen nilgrünen seidenen Schlafrock gehüllt, in einer vielstöckigen Bibliothek hauste und mit nikotingelben Fingern in kostbaren, alten Folianten blätterte. (...) Sein Haus musste wohl etwas düster und vernachlässigt sein, vielleicht ein kleiner, halb verfallener Palazzo mit bröckelnden Deckengemälden (...)

Während wir nun an unserem Resopaltischchen vor dem Café Nazionale saßen und auf einen solchen Mann warteten, beobachtete ich auf der anderen Seite der kleinen Piazza einen deutschen Touristen, der eine Einkaufstasche trug und suchend herumblickte. Es war ein stämmiger kleiner Mann mit Embonpoint und auffallend rosiger Gesichtsfarbe, scharf gebügelten Gabardinehosen und einer knallgelben Fliegerjacke. Ich machte Ingeborg auf ihn aufmerksam und sagte: Komisch, unsere Landsleute erkennt man doch auf der ganzen Welt sofort.
Der Mann hatte uns entdeckt und kam zu uns herüber.
Entschuldigen Sie, sind Sie Herr und Frau Ende?
Wir nickten abweisend.
Komisch, sagte er und lächelte ein wenig süffisant. Deutsche erkennt man doch überall sofort. Mein Name ist Hocke.

Luise Rinser war nicht die einzige, welcher der Kontrast zwischen seinem nordischen Äußeren – hellblond, hellhäutig, blauäugig – und jener italienischen Sinnlichkeit an ihm auffiel, die das Leben zum Fest machen will.2 Sein Schulfreund Walter Eichelberg sagte von ihm, schon in den Zwanziger Jahren sei er weder ein hundertprozentiger Deutscher gewesen, noch ein hundertprozentiger Romane, sondern eigentlich ein echter Europäer, das, was er selbst als Burgunder bezeichnet hat.3
Amelie Friedman, die Herausgeberin der Abendzeitung nannte ihn – in Anspielung auf seinen Roman – den tanzenden Gott. Grund dafür war sein Auftreten, insbesondere wenn Damen anwesend waren.

Michael Ende, der männliche Beobachter, charakterisierte ihn weniger hochtrabend, aber mindestens ebenso treffend: Gustav René Hocke war zweifellos die vielschichtigste Persönlichkeit, die ich je kennen gelernt habe. (...) Da gab es den Grandseigneur, den Gelehrten, den Hedonisten, den Snob, den Gockel, den Bürger, den ängstlichen Knaben (der sich z.B. fürchtete, allein im Dunkeln nach Hause zu gehen), den frommen Katholiken, ja, manchmal kam sogar so etwas wie ein rheinischer Kegelbruder zum Vorschein, der in italienischen Lokalen deutsche Volkslieder singen und schunkeln wollte. (...) Ich bin nie dahinter gekommen, ob all diese so verschiedenen Personen, welche die Persönlichkeit Gustav René Hockes ausmachten, untereinander überhaupt in Beziehung standen (...) oder ob sie sich nur sporadisch begegneten und „Sie“ zueinander sagten.4

1 Wie ich G. R. Hocke kennen lernte, in: Hommage an GRH, Viersen. Beiträge zu einer Stadt Bd. 16, Viersen 1989, S. 113-7.
2 Luise Rinser, Über Gustav René Hocke, in: Hommage an Gustav René Hocke, Viersen. Beiträge zu einer Stadt Bd. 16, Viersen 1989, S. 62-64.
3 Walter Eichelberg, Ein moderner Burgunder, in: Ibid. S. 30.
4 ibid.